Das sind die 12 Jahresgewinner*innen 2020!

Die lyrix-Jahresjury hat die 12 besten Gedichte ausgewählt, die zu den Monatsthemen 2019 eingesendet wurden. Sie stammen von Henrike Biermann, Ruta Dreyer, Rosa Engelhardt, Selin Eslek, Lena Hinrichs, Nora Hofmann, Vivian Knopf, Ronja Lobner, Laura Meroth, Rojin Namer, Tim Schäfer und Sven Spaltner – wir gratulieren sehr herzlich!

Auch dieses Jahr hat die Jahresjury wieder alle 72 Gewinner-Texte der Monatsthemen von Januar bis Dezember 2019 gesichtet und daraus die 12 besten Gedichte gewählt. Wir freuen uns sehr über die hohe Qualität der Texte!

Corona-bedingt konnte unsere Reise mit den Preisträger*innen in diesem Jahr leider nicht wie üblich parallel zum poesiefestival Berlin im Juni stattfinden. Wir arbeiten an Plänen für einen Ersatztermin und hoffen sehr, den Talenten bald persönlich im Rahmen der Preisverleihung gratulieren zu können.

Ein großes Dankeschön geht an dieser Stelle an die Juroren und Jurorinnen der Jahresjury: an Malte Blümke für den Bundesverband der Friedrich-Bödecker-Kreise e.V., an Matthias Gierth als Leiter der Hauptabteilung Kultur im Deutschlandfunk, an den Lyriker Norbert Hummelt, an die Direktorin des Museums für Kommunikation Berlin, Anja Schaluschke, und an die Autorin und Verlegerin Daniela Seel.

Ein bisschen Begeisterung

Henrike Biermann
aus Magdeburg, Jahrgang 2000

Lauschst du auch gut
den Anekdoten der Toten?
Vielleicht hörst du nur nicht richtig hin,
wenn du dich fragst, ob ich auch nur einen einzigen Sinn
meiner sieben beisammen habe.
Vielleicht fehlt dir auch nur der entscheidende Hinweis:
Achtung, Achtung, dies ist ein Gedicht.
Und obwohl die Verfassung nicht schlechter sein könnte, schreibe ich
es jetzt, wie ein Falter das Licht.
Die Jury verzieht das Gesicht. Es steht vor Gericht.
Wie ein Apfel auf der Reibe
zerfallen die Gedanken in wortgeformte Teile,
während ich es schreibe.
Fixierung in Wort und in Schrift
Lässt alles Imaginieren sich selbst und mich viel mehr als verlieren
Was mich betrifft:
Gradlinigkeit war noch nie meine Stärke
ohne Glucoseketten sind auch meine Werke
Verworren, verwirkt
was sich drin verbirgt, ist eine Hypothese,
nicht mehr oder weniger
Und obwohl ich es einfach lassen könnte, kann ich es nicht
einfach lassen, ein Ende in Sicht
ist besser, als zurück zum Anfang zu springen
Ein bisschen Begeisterung ist doch wirklich nicht zu viel von mir
verlangt
Falter hin oder her
Heute Morgen habe ich noch einen zerschlagen
macht irgendwie Spaß, die zu jagen
mit flackernden Fackeln
Bis jetzt habe ich mich noch nicht selbst getroffen
tosender Beifall

 

Monatsthema: wie ein falter das licht

und wenn du dabei stirbst

Ruta Dreyer
aus Hannover, Jahrgang 2002

aus dem schalter in die schnur und wir
positionieren uns im kabel. stehen
unter strom während wir die laufbahnen bemessen und wie viel
strom unser körper aushält. elektrizitiert betrachten wir die
energie die wir haben während wir mit den elektronen in
die enge getrieben werden bis zur nächsten lampe sind es
zehn meilen bis wir nichts mehr aushalten ein paar volt das
wollten wir schon. der strom an unseren schläfen pocht dein
blick schweift zum lichtschalter es vibriert unter den füßen
wo sind die füße. und wenn du dabei stirbst
frage ich dich neben mir und du

 

Monatsthema: wie ein falter das licht

waldstraße

Rosa Engelhardt
aus Berlin, Jahrgang 2001

es riecht nach regen aus vergangenen tagen
das wasser hat unsere kreidezeichnungen
vom asphalt gewaschen, das grinsen der gesichter
dort verläuft sich in pfützen
die tropfen rinnen in die poren meiner socken,
sammeln sich in sohlen, wo sie suppend
meine zehen baden
vor mir das haus
meine füße springen über die stufen,
ich schließe die tür zu und die welt aus
werfe die schuhe, wringe die socken,
der tropfende stoff fleckt auf den teppich
seine fasern fassend verloren
sich kinderhände darin
wir sollen keine flecken machen,
sagte oma
die socken tropfen, es riecht noch nach regen
und ihrem parfum
besonders in dem großen salon
hier aßen wir kuchen, pulten die streusel
vom gartenobst, legten daraus
die kreise auf der keramik nach
die kreidegesichter gespült in den gulli
das haus ist leer
das prasseln des regens scheint lauter darauf,
bis die flecken in teppichfasern ertrinken.

 

Monatsthema: einschüsse wie sommersprossen

Glieder

Selin Eslek
aus Mönchweiler, Jahrgang 2003

Ich bin
Lungenblähen
Ich bin
Die Sonne vor dem Fenster und die blutige Kälte
Knochen aus Wortflut, starre Augen und ein haariges Herz
Ich bin
Lungenblähen immer tiefer
Flügelfuß und gefütterte Himbeermacarons und gehaltene Hände und
fließende Bilder und das aufgeschürfte Knie und das Kreischen und
Quietschen und das lauthals Stillsein.
  Ich bin das Wattehöhlespinnen. Vor die Augen und den Geist.
Aus meinem Haupt wachsen Veilchen.
Ich bin
Lungenblähen
Momentaufnahme.
Die schnarrenden Schritte durch den Schnee und Wortspiel und
Vergangenheit und so viel Angst und Liebe.
Ich bin das geplatzte Herz des Silvesterfeuerwerks und der Vorhang des
Stadttheaters und das Kennenlernen.
Ich bin so viel Angst und Liebe.
Ich bin
Die Wurzeln im Waldboden und das Bestehen.
Lungen blähen Gewitter.
Keine Wolken zu sehen.
Nur die Veilchen auf meinem Kopf.

 

Monatsthema: ich bin eine wolke aus nichts

punktionen

Lena Hinrichs
aus Wentorf, Jahrgang 2000

jede der kleinen runden braunen
die aussehen wie unter die Haut tätowiert
dunkelrosa und beige, sanfte
kleine kreise die die hände schmücken
die arme behängen, den bauch bereichern
jeder einstich der nadel hinterlässt ein mahnmal

die etwas größeren roten, leicht verblassenden
die etwas hinterlassenen, nicht
zu leicht entdeckenden abdrücke, die
spürbaren fußstapfen im matsch eines waldes
in dem es immer wieder regnet, tröpfelt kurz
bevor der boden zu trocknen beginnt
jedes klebende kabel ein drückendes phantom

zwischen bäumen schimmert halogenlicht, der strahl so dünn
wie ein faden einer spinne die mich holt
wie ein laser, eine nadel
die sich langsam nähert
der countdown ganz langsam
pochende anspannung im hals

am ende bleibt ein klobig graues rechteck
an dem das hemd hängen bleibt
bis das aceton es wegwäscht

 

Monatsthema: einschüsse wie sommersprossen

dass ich

Nora Hofmann
aus Wien, Österreich, Jahrgang 2000

dass ich bin und dass es dennoch keine flaechen gibt die mich spannen
dass etwas mich traegt ich es trage und dass es mich auftraegt dass
ich in ausgehoehltes tropfe und ich das verliere was jemand benannt
was jemand ausgesprochen hat / dass ich austropfe dass ich mich nicht
mehr finde die manschetten meines koerpers nicht mehr anfinde dass ich
in keiner flaeche zu finden bin dass ich mich auftrage ich mich nicht
mehr tragen kann und dass ich dennoch bin / dass ich nicht aufhoeren
kann zu sagen dass ich bin dass ich nicht aufhoeren kann mich
aufzusagen ; dass ich mich aufsagen muss dass ich nicht damit
aufhoeren kann dass ich bin und dass ich sein muss und das zu sagen
aufzusagen ; dass ich mich aufsage damit ich nicht aufhoere zu sein / dass
mein gesicht vertropft ist und dass die flaechen zu muendern
gebueckt und zu lippen verknotet dass sie aufgehoert haben sich
aufzusagen dass sie nun unbenanntes sind ; aber dass ich bin weil
ich nicht aufhoere mich aufzusagen ich nicht aufhoeren kann zu sagen
dass ich bin und dass ich mich benenne und mich ausspreche dass ich
nicht aufhoere zu sein / dass ich bin und dass es dennoch keine
flaechen gibt die mich spannen dass mich etwas traegt dass ich nicht
aussprechen kann ; dass etwas mich traegt ich es in mir trage und dass
es mich auftraegt / dass ich es nun benenne und ausspreche und
aufhoere es nicht zu sagen dass ich es mir aufsagen muss / dass in mir
eine ruine ist ich eine ruine bin und dass ich zerfalle sie mich
innerlich zerfallen lässt dass ich schon im zerfallen bin ; dass mich
eine ruine traegt dass ich eine ruine in mir trage dass mich diese
ruine auftraegt ; dass ich mir aufsagen muss dass in mir eine ruine
ist ich eine ruine bin und dass ich nicht aufhoeren darf mir aufsagen
muss nicht aufhoeren darf mir aufzusagen dass ich eine ruine bin ; sie
mich zerfallen lässt dass ich zerfall in mir trage eine ruine in mir
trage und ich schon im zerfallen bin / dass in mir eine ruine ist ich
eine ruine in mir trage und dass ich mich selbst auftrage

 

Monatsthema: Werden Bewegungen so verschiebbar

seespaziergänge

Vivian Knopf
aus Berlin, Jahrgang 1999

manchmal verschwindet sie
dann sitzt sie da
starrt mit ihren dunklen augen
in die ebenso dunkle kaffeetasse
der weiße schaum löffel
für löffel sorgfältig auf den teller gehäuft
und sie nun fragend auf die offene see vor ihr blickend

der schaum knistert dann leise
wir beide bekommen bauchschmerzen davon
doch trinkt sie ihn jedes mal wieder so
als gehörte zu jedem schluck eben auch ein wenig unannehmlichkeit
und ich sage nichts
suche mit dir nach antworten in einer viel zu kleinen kaffeetasse
du nach welchen die ich dir nicht geben kann
ich nur nach welchen die es vielleicht nicht gibt

aber wenn sie hustet ist es immer noch da
literweise hat sie verschluckt
zum glück bist du eine gute schwimmerin
das musste sie früh lernen
zuerst in den großen milchkrügen
der alten molkerei
beim fische fangen im karpfenteich
dann nochmal in echt als du eigentlich schon
nicht mehr schwimmen wolltest
in einem meer
das die hälfte der zeit nicht da ist.
von beidem bekam sie bauchschmerzen

das einzige was dann hilft
sind seespaziergänge
an den ausgefransten rändern
einer viel zu kleinen kaffeetasse entlang
immer und immer wieder
bis der letzte schaum abgetragen ist
und man von einem ende des ufers aus
das andere erkennen kann
dann schüttelt sie wieder ihren kopf
und nickt dabei
so wie es großmütter tun
ihre brauen geschwungen wie die flügel einer möwe
die gefalteten hände bereit jederzeit aufzubrechen

 

Monatsthema: nur ein Gedankenstrich, der den Schwung ihrer Braue mitgenommen hat

5 kalorientütensuppe (healthy, abnehmen 50kg in vier Tagen, slim, bodyfit, low carb)

Ronja Lobner
aus Petershagen, Jahrgang 2002

Aufguss // die 5 kalorientütensuppe // um konform zu gehen // dann
isst du nur die hälfte // damit du nicht aneckst // an der Tischkante
// morgens ziehst du dir dann 5 kalorien an // jetzt bist du wieder
Weiblich

und die CREME // eitertriefende Hautfetzen // und die fettigen Pickel
auf der Stirn // ha(s)t du // die Creme(?) // ätz dein gesicht clean
// jetzt bist du wieder weiblich

und das SHAMPOO // fettige Haarsträhnen // sind nicht lang genug //
VOLUMENSHAMPOO // und HAARMASKE // und CONDITIONER //
und SPÜLUNG
// und HITZESCHUTZ // und HAARÖL //und HONIG // musst du
einmassieren // jetzt bist du wieder weiblich

Und das MAKE-UP // deine androgynität // sieht besser aus wenn //
Man(n) sie nicht sieht // und an der Stelle wo sich dein Shirt wölben
sollte // sind keine Brüste // nur ein Rippengestell // fülle die
hohlräume mit konformität // und dann bist du wieder weiblich

Und der EYELINER // damit du nicht siehst // dass du siehst // noch
sehen kannst // wie lange noch ?

Du bist ein slim-fit-babe // ästhetik einer generation // die hasst
die welt // seit Instagram sogar sich selbst //

Der Griff nach Träumen wird // zum Würgegriff // Griff in den Hals
// Fingerkuppen in der Speiseröhre // Kotze // damit du morgen
hohlraum freihast // für mehr tütensuppe

 

Monatsthema: Die Welt braucht pinkfarbene Schattierungen

valentinstag 2056

Laura Meroth
aus Bietigheim-Bissingen, Jahrgang 2003

wir sind ein paar

hand in hand spazieren wir über den friedhof der bäume hin und
wieder steigen wir über ein baumstumpfgrab die holzspanstaubkörner
die du dabei aufwirbelst schießen im kollektiv auf mich zu und
knebeln meine blicke nur mühevoll kann ich sie wieder befreien

im einstigen waldboden hausen die einsamen wurzeln wir horchen ihrem
lied sie wimmern klagen heulen im kanon trauern wie mütter um ihre
kinder man hat sie ihnen entrissen und auf baggern zum nächsten
waisenhaus auch möbeldiscounter genannt kutschiert bis heute sind die
wurzeln auf der suche diese ruhelosen friedhofsgeister werden nicht so
schnell aufgeben ignoranz ist die beste waffe denke ich und stopfe mir
staub in die ohren

ich schaue dich an während du dich im kreis drehst dein lachen
verbrennt in der flimmernden hitze ehe ich es auch nur erahnen kann
und deine haare flattern im erstarrten wind meine lippen formen die
drei magischen worte senden sie dir zu doch auf halber strecke
zerschmilzt die magie in der luft und steigt gasförmig in den
hustenden himmel auf

ein rabe jault die sonne an sein lied strotzt nur so von dissonanzen
seine feder bestehen aus hundertprozentiger asche sie schneien still
und sanft und glühend heiß auf uns herab einige ascheflocken
verfangen sich in deinem haar ich will sie behutsam herauszupfen aber
verbrenne mir prompt die finger

wir rufen verzweifelt nach der romantik doch nicht einmal das echo
antwortet hand in hand mit der romantik hat es sich wohl vor langer
zeit aus dem staub gemacht man kann es beiden nicht verdenken aber
dafür hat sich die hoffnungslosigkeit eingenistet gerade nimmt sie
ihr bad in einem verdorrten flussbett und winkt uns fröhlich zu
schwärme von fischen flitzen um ihre gebräunten beine herum unter
anderem aluminiumaale und bierbüchsenbarben ordentlich gereihte
baumskelettsoldaten bewachen das geschehen ihre knochigen äste wie
gewehre der sonne entgegengestreckt als wollten sie sie erschießen
wir machen schnell kehrt als sich die soldaten nach uns umdrehen und
laufen vor der schuld davon

 

Monatsthema: Wenn wir die Wälder verlassen

Damaskus, meine Blume

Rojin Namer
aus Berlin, Jahrgang 2002

Ich sehe sie
Die rote Stadt
Ich rieche sie
Die duftende Stadt
Ich höre sie
Die geräuschvolle Stadt

Sie schreit nach mir

Jede Sekunde geht Damaskus durch mich
Keine Sekunde kann ich durch sie gehen

Ich fühle sie
Die niedergeschlagene Stadt
Ich küsse sie
Die armselige Stadt
Ich umarme sie
Die rettungslose Stadt

Sie klagt mir ihr Leid

Jede Sekunde geht Damaskus durch mich
Keine Sekunde kann ich durch sie gehen
Ich spüre
Ihre Aussichtslosigkeit
Die Zerstörung
Den Zusammenbruch
Die Heimatlosigkeit
Den Verlust ihrer Söhne und Töchter

Sie flüstert in mein Ohr
Weine nicht, mein Kind
Irgendwann spürst du meinen Boden, so wie ich dich spüre
Irgendwann erwidere ich deine Küsse und Umarmungen
Irgendwann stillen wir gegenseitig unseren Durst

Doch ich weine nicht, weil sie durstig ist
Denn das Blut durchfließt sie in Strömen
So viele Leben hat sie aufgesogen
Ich weine, weil Damaskus eine Blume ist
Und als Blume verdient sie Wasser

Ich weine nicht, weil sie hungrig ist
Ihre Straßen sind voll von Leichen
Ich weine, weil Damaskus eine Mutter ist
Die ihren eigenen Hunger stillen muss
Nach der Nähe ihrer Kinder
Einen wichtigen Teil von mir verdient sie

Und das ist mein Herz

                                  Durch Berlin gehe ich jede Sekunde
                                Berlin geht keine Sekunde durch mich

 

Monatsthema: ich gehe durch meine stadt und es ist nicht meine stadt durch die ich gehe

wie sonst nur das benzol

Tim Schäfer
aus Bruchköbel, Jahrgang 2000

zieh ganz langsam am seidenen
faden bis nichts mehr da ist was du fassen kannst
reiß die schatten die ich geworfen habe
auseinander bis sie sich in luft
auflösen setz dich zu den gewesenen
und sprich zu ihnen tröste sie
zieh ganz langsam am seidenen
faden binde dir einen knoten in den
schmerz bis du ihn erstickst
du wirst die ausströmenden atome
am anfang aufsaugen wie sonst
nur das benzol das an deinen lungenlappen
leckt dein zwerchfell zittert hartnäckig
sieh noch ein letztes mal in die
gläsernen pupillen und brich die
angst auf lass sie zerborsten
am boden liegen und zieh,
zieh am seidenen faden
bis nichts mehr da ist
was du fassen kannst

 

Monatsthema: ich bin deine wolke aus nichts

Mundraub

Sven Spaltner
aus Köln, Jahrgang 2000

Gerippte Morpheme
leben fliegende Fische
unter meiner Zunge
zirkulieren in meinem Blut

Du schneidest mir
in mein Wort
mit einem Fischmesser
keilVörmig Buchstaben daraus

Du schneidest mir
in meinen Mund
quer, hebst die Zunge an
entgrätest mich

Ohne Skelett mein
Satz ohne ohne
Verb ohne Rück
rad rat grat

Klänge geschuppt
zucken auf dem Asphalt
wollen luft h h h holen, hauch
ihnen das leben aus

Meine Glossa
Sprachflosse, durchstochen von deinem
Haken, Spinner, und spinnt nicht mehr weiter
du wirfst sie in dein Becken

Du stiehlst meinen S
inn beim S
prechen, nimmst die Hälfte, das S
ignifika te 

Sodass meine Sprache
kaum noch Tier ist
kaum noch Pflanze
Pilz, modriger

Aber frischer Fisch schtinkt nisch
schprach isch rheinländisch

(Schluck!
Schreib es auf.
Sie werden denken, es sei Aphasie.
Ich weiß, es war Mundraub.)

 

Monatsthema: stehlen mein s beim prechen

Die 12 lyrix-Jahresgewinner*innen 2020

Henrike Biermann, Foto: privat

Henrike Biermann, studiert Philosophie, Neurowissenschaften und Kognition in Magdeburg, Jahrgang 2000 – schreibt hin und wieder Gedichte und anderes, oft eher als Zwiegespräch mit sich selbst und freut sich, wenn andere dem was abgewinnen können. Mag Sonne, Kaffee und Wortspiele. Mag es nicht, sich selbst zu beschreiben.

Ruta Dreyer, wurde 2002 in Hannover geboren. Sie war beim Treffen junger Autor*innen 2018 und bei LYRIX 2018 und 2019 dabei. Unter ihrer Haut transzendiert der Bass und es werden Amplituden in Formen gegossen, die dann gesprengt werden. Aber nur die Übertreibung ist wahr, sagt Adorno.

Ruta Dreyer, Foto: Ute Klein
Rosa Engelhardt, Foto: privat

rosa engelhardt, geboren 2001 in berlin, findet kleinschreibung inspirierend, schreibt und fotografiert lieber analog und fühlt sich in supermärkten seltsam haimisch. sie würde gerne meeresbiologin werden, findet fische aber beängstigend (außer haie, die sind großartig).

Selin Eslek, Schülerin, geboren 2003 – schreibt als (Möchtegern-) Revolte und als Versuch, greifbar zu machen. Dabei ist Plastizität ihr am meisten verachtetes Wort. Sie schreibt gerne nachts, früher speziell an Wände, inzwischen auch auf Mauern und Haut.

Selin Eslek, Foto: privat
Lena Hinrichs, Foto: privat

Lena Hinrichs, studiert Jura in Hamburg, Jahrgang 2000 – sie schreibt vor allem Lyrik, manchmal auch Prosa. Wenn sie eine Idee überfällt, muss sie sie sofort greifen und entwickeln, bevor sie verloren geht. Diese Ideen kommen meist bei Sonnenuntergängen, am Meer oder in Verwaltungsrechtsvorlesungen.

Nora Hofmann, geboren 2000 in Würzburg. Studiert Sprachkunst in Wien. Auseinandersetzung mit Transzendenz und Überresten, der Anordnung von Körpern_Flächen_Geweben im Raum.

Nora Hofmann, Foto: privat
Vivian Knopf, Foto: privat

Vivian Knopf, Jahrgang 1999, studiert Philosophie und Sozialwissenschaften in Berlin – und schreibt deshalb eigentlich die ganze Zeit, wenn auch nicht immer lyrisch. Hält alles fest, was ihr durch den Kopf rauscht, egal ob ausgearbeitet auf Papier oder in einer der aktuell 737 kryptischen Notizen auf ihrem Handy, die sie danach nie wieder anschaut. Mag lange Sätze.

Ronja Lobner, Jahrgang 2002, verliert sich oft und findet sich dann in Texten wieder. Sie macht momentan ihr Abitur und bewegt sich irgendwo zwischen Museen und Zeitungspapierschnipseln. Hat schon die Bielefelder Kunsthalle tapeziert (von außen). Schreibt hauptsächlich über Insekten, Familienkonstrukte, Autonomie und Zerfall. Viel Popkultur, viel Pink, viel Philosophie, allgmein: sehr viel. Wurde für den THEO 2020 nominiert.

Ronja Lobner, Foto: privat
Laura Meroth, Foto: privat

Laura Meroth, Schülerin in Bietigheim-Bissingen, Jahrgang 2003 – Beobachtet gerne Menschen und schreibt anschließend über ihre Eigenarten, versucht Stimmungen (bevorzugt abendliche) in Worte zu übersetzen. Überhaupt schreibt sie gerne bis in die Nacht hinein, denn da hat sie das Gefühl, dass ihre Gedanken besser nachhallen.

Rojin Namer, auch „Jini“ genannt, für die Leute, die den Namen zu deutsch aussprechen. 2002 in Damaskus geboren. Besucht die 11. Klasse eines Berliner Gymnasiums. Ist in Berlin angekommen, hängt aber noch an Damaskus. Musik hält sie mental stabil.

Rojin Namer, Foto: privat
Tim Schäfer, Foto: privat

Tim Schäfer, Jahrgang 2000, studiert Soziologie und Skandinavistik in Frankfurt am Main – würde sich selbst als ESC-Ultra bezeichnen. Möchte in seiner Lyrik das Unscheinbare und Versteckte jeder Situation aufleuchten lassen. Immer wieder wird ihm gesagt, er habe etwas Traumhaftes an sich, laut Buzzfeed-Quiz sei er womöglich ein Medium. In jedem Fall ist er immer intuitiv und dankbar.

Sven Spaltner, Jahrgang 2000, macht seinen Bachelor in Kunstgeschichte und Germanistik. Er wohnt in Köln-Kalk, wo er öfters mit seinem Einkaufstrolli gesehen werden kann, wenn er sich aufmacht, um seinen Vorrat an Weißwein und Eiscreme aufzustocken. Er liest gerne von weiblicher Rache und Zimmerpflanzenpflege, schreibt in und über Zwischenräume. Kämpft nachts manchmal gegen Silberfische.

Sven Spaltner, Foto: privat

Schreibe, um zu träumen.