Unsere Gewinner*innen im Februar 2024

Wettbewerb im Februar 2024

Herzlichen Glückwunsch! Wir gratulieren Lilli Biller, Anita Henkel, Mara Meier, Theo Nowak, Marisa Oswald und Angelina Schülke zu ihrem Monatsgewinn im Monat Februar 2024!
Viel Spaß beim Lesen ihrer Gedichte

meine sprache hat noch nie geechot

Lilli Biller

2005

nicht in der stadt habe ich sprechen gelernt
aber die stadt hat mir gezeigt
wohin mit meiner sprache
in meinen augenwinkeln sitzt sie
ich weine sie in stillen tränen in die straßen
durch die wir gekommen sind
sie fließen den ganzen weg
nachhause wo
in tälern, auf hügeln, in sand versandet, an weiße steine gelehnt,
in olivenbäume gehangen
meine sprache keine lügnerin war

meine sprache gab es schon, bevor es feuer gab
sie wurde leise geboren und hat die stille beendet aber
auf gerader fläche, in kaugummi gekaut,
an fahrende autos gelehnt, von straßenlaternen gehangen
ist meine sprache eine verräterin

in der stadt gibt es ein sprache
die andere dunkelheiten kennt als meine
die gegen das ratatata ratata ratata,
das quietschen der bremsen, das schaben von gummi auf asphalt
ankommt
das harte K und P und T prallt von den glasfassaden ab
meine sprache hat noch nie ge
echot
 

ich rief um hilfe in meiner sprache
meine sprache rief mich nicht zurück

Bis die Stadt zu heißen beginnt

Anita Henkel

2006

Ich stehe vor dem Ortsschild
Es ist gelb, mit schwarzer Schrift
Aber ohne Namen darauf
Es sieht dahinter aus wie überall

Dort ist das Haus
Das mir Dach überm Kopf ist
Ich werde nicht lang genug bleiben
Um die Lichtschalter im Dunkeln zu finden

Ich werde nicht beschwören können
Ob die Fassade nun Beton oder Backstein ist
Zum Supermarkt benutz ich Google Maps

Und wenn ich dann gehen werde
Hab ich noch nicht mal ein Zimmer gestrichen
Hab keine Blumen im Stadtpark zertrampelt
Und keine Kekse auf dem Weihnachtsmarkt gekauft

Dort ist der Nachbar beim Gassigehen
Ich kenne weder Hund noch Herrchen
Doch hör ich sie am Abend durch die Wände fernsehschaun

Hier ist das Büro
Ein Haus aus Glas
Doch ich weiß nicht, hinter welchem Fenster ich sitze
Wenn ich nach draußen sehe, sieht es aus wie überall

Ich bleibe nicht lange genug
Um die Kaffeemaschine neu aufzufüllen
Ich grüß die Menschen um mich rum nach ihrem Namensschild
Beim Mittagessen sitze ich allein

Und wenn ich dann geh
Hab ich noch nicht mal die Vorwahl gelernt
Hab kein Bier im Stammlokal getrunken
Und keinen Arzt in der Nähe gebraucht

Dort ist das Rathaus
Der Bürgermeister grinst von einem Wahlplakat
Mein Kreuz hab ich beim erstbesten Kandidat gesetzt

Hier sind die Kirche, die Schule, der Friedhof
Das Altersheim, der Wertstoffhof, die Buchhandlung, der Eiscremeladen
Das Stadttheater, der Bahnhof, das Schild zum Schrebergarten
Und die Fast-Food-Kette, die bestimmt seit Jahren boykottiert wird

Ich bin nicht lang genug geblieben
Um sie alle zu besuchen
Hab bei Amazon die eigene Adresse nachgeschlagen
Und kein Spiel vom örtlichen Verein gesehen

Und jetzt, da ich gehe
Hab ich noch nicht mal die hiesige Luft eingeatmet
Nicht die Vögel erhört und den Windhauch gespürt
Hab ich die Stadt im Kopf wie überall

Ich stehe wieder vor dem Ortsschild
Es ist gelb, mit schwarzer Schrift
Rot durchgestrichen
Aber ohne Namen darauf

Wie lange müsste ich wohl bleiben
Bis die Stadt zu heißen beginnt?

Die Ruhe in sich selbst

Mara Meier

2009

Der erste Schritt aus der Tür.
Der nächste in die Freiheit.
Der erste Atemzug, die Luft so frisch wie noch nie.
Der erste Atemzug, die Luft so klar wie noch nie.

Der Asphalt.
Der schimmernde Asphalt.
Der nasse Asphalt.
Als würde er verstecken wollen, dass vor kurzem noch Schnee dagelegen wäre.

Die Sonne.
Die Sonne, die wundervolle Strahlen von sich gibt.
Die Sonne, sie ist so nah wie noch nie.
Sie scheint mir ins Gesicht und ich muss meine Augen zusammenkneifen.
Sodass ich ein Lächeln aufsetzen muss.

Der See.
Der See, der ruhig vor mir liegt.
Der See, der schimmert und glitzert, so wie ich es noch nie zuvor gesehen habe.
Auf ihm, da erkenne ich die Sonne wieder.
Auf ihm, da erkenne ich die Strahlen wieder, die mich so glücklich machen.

Der Schnee.
Der Schnee, er ist überall.
Auf den Dächern der Altstadt.
Auf den Wäldern, die sich um die Stadt verteilen.
Es fühlt sich nicht real an.
Es fühlt sich eher wie in einem Wintermärchen an.

Diese Ruhe.
Diese Ruhe, die sich in unserer Großstadt ausbreitet.
Diese Ruhe, die ich genieße, so wie noch nie zuvor.

Dieses Wetter.
Dieses Wetter, wo alle gelassen sind.
Dieses Wetter, wo alle ein kleines Lächeln auf dem Gesicht haben. 
Diese Stimmung.
Diese Stimmung, wo alle in sich selbst zurückkehren können.
Diese Stimmung, wo die Ruhe selbst zur Ruhe finden kann.
Diese Stimmung, die bald wieder verfliegen wird.

Bald, wird die Ruhe wieder weg sein.
Bald, da wird Zürich wieder Zürich sein.
Bald, da wird Zürich wieder laut und chaotisch sein.
Bald, da wird Zürich wieder die Stadt der Turbulenzen sein.

Das ist nichts Schlechtes.
Nein, es ist einfach Zürich.
Das gute alte Zürich.
So wie wir es mögen.

dachstübchenburgturm nr. 17

Theo Nowak

2003

ein zimmer für mich
eine wohnung für vier
hochbett hoch über der tür
wie ein torbogen aus rosen
und geklapper aus der küche
wenn ich schlafe

dann: matratze auf dem boden
und wände blau wie meine teenagerjahre 
flamingos als erinnerung
dass ich auch auf einem bein noch stehen kann
weil sie da sind zu beiden seiten
und mir das gleichgewicht halten

woanders: gelbes sofa
in grünem wohnzimmer 
gelbe lampe auch
und geklapper aus der küche 

papa 
hältst du meine hand
ich lerne einrad zu fahren

papa 
ich halt dich in dir hand
und werf dir eine rose hinterher
der stein, den sie dir auf den kopf gesetzt haben. ist so grau

mama 
hältst du mir die hand 
ich lerne auf einem bein zu gehen

und alleine 

und schwester irgendwo weit weg
schlafend, ertrinkend inmitten in berlin
wände weiß wie ihre krankenhaustage
sie bringt mir gta spielen bei 
schwester
lass mich deine hand halten
schwester
du bist doch viel zu jung, um alleine zu gehen

dann: zug
ich lasse sie alleine 
zurück
und schlafe ein mit dem geklapper der schienen

wache auf
auf einem anderen boden

dieser hier hat teppich
petrolfarben mit kaffeeflecken gesprenkelt
und einsamkeit

es ist kalt
wer hätte gedacht, dass ich noch zwanzig werde
einrad fahre ich schon lange nicht mehr
und in der neuen küche 
bin ich die einzige, die klappert

anfang und ende – [ˈʃlaŋə]

Marisa Oswald

2006

anfang war
abseits der breiten lauten straßen
am eingang des kleinen ladens
aus dessen küche es nach frühlingsrollen duftet
auf dem verregneten weg
als im morgenlicht der sonne und neonbuchstaben zwischen den gehwegplatten eine blume aus der erde spross

anfang war
am meer
auf das die mittagssonne am himmel schien
an dem die wellen die knöchel umspülen
an dem die möwen in der salzluft segeln
als aus sand und seetang eine burg wurde

anfang war
am abend in der dämmerung 
an dem see hinter dem verlassenen haus
am ende der stadt
als ein vogel auf dem wasser landete und die gelben blätter der weide sich im nebel regten

anfang war 
am kältesten aller wintertage
an dem sich eisblumen am fenster bilden
an dem die nacht vom schneegestöber erleuchtet war
als die tierspuren vom tag auf dem schneebedeckten feld verwischten

anfang war
am gleichen tag
am wärmsten aller sommertage
an dem die nacht voller stechmücken und zirpender grillen war
als in dem feld eine schlange um die pflanzenstängel strich

anfang war
am ende
als die schlange ihrer alten haut entwich und
am anfang war
im morgenlicht

schatzsuche

Angelina Schülke

2003

dreihundert meter nördlich von hier
fließt die zeit mit der frühlingsschmelze
der musst du folgen 
den gewundenen wegen und morschen stiegen 
ins wohnzimmer der buchen
seit ich altere fülle ich meine erinnerungen in phiolen
vergrabe sie unter rissigen erd- und steinplatten
und lasse die feuerkäfer sie hüten
hast du ihre botschaften noch?

Schreibe, um zu träumen.