Unsere Gewinner*innen im Januar 2024

Wettbewerb im Januar 2024

Herzlichen Glückwunsch! Wir gratulieren Lilli Biller, Selin Erdogan, Souat Eslek, Yasin Gül, Klara König und Jana Tvorogova zu ihrem Monatsgewinn im Monat Januar 2024!
Viel Spaß beim Lesen ihrer Gedichte

irgendwer blutet immer am besten

Lilli Biller

2005

irgendwer blutet immer am besten
rennen durch rhododendronbüsche 
schrammen an kiefernrinde 
haut klebt an harz
der mondschein hat in deinen augen geweitete rote flüsse in weißen tälern beschworen
ich lecke deine blutigen tränen
irgendwer schmeckt immer am besten

3000 meter hoch im baumwipfel, du springst, für dich sind es nur 3
du winkst mich, auf igels rücken reiten wir nach hause (ich, noch im baumwipfel)
rot

                 rot            rot

     rot    rot

e punkte auf deinem bein, wo igel war
ich hab kein solches mal (ich, noch im baumwipfel)
„wenn was blutet, müssen wir das verarzten“
„du kannst dir ein pflaster aussuchen“
ich spüre deinen rhododendronkiefernharz-blick, der mir sagt
du glaubst nicht, was sie sagen, seit der mond das mit dir gemacht hat
irgendwer lügt immer am besten

lillifee captain sharky hello kitty sind vampire
saugende blutlüsterinnen 
mit fingernägeln bekämpfen wir sie
die roten flüsse wieder frei
wir haben immer gedacht
du blutest am besten

auf baum 3000
blute ich an stellen, die du nicht kennst
gieße den blutbaum, färbe seine jahresringe rot
du könntest niemals das ganze blut trinken, das ich verliere
lillifee captain sharky hello kitty nicht
seit es blut gibt, dass nicht verarztet werden kann
sind rhododendron verdorren, kiefern gefällt und harz getrocknet
ich habe aufgehört zu rennen 
denn ich blute am besten

nein

Selin Erdogan

2004

in der ecke hält er sie in seinen armen wie sonst niemand, reibt und quetscht die neurodermitishaut so zart, bis sie trieft und in schuppen schicht für schicht auseinanderfällt. blut mischt sich mit speichel und schweiß und vor ihr liegt das fragment des nie wieders, das sie jetzt ist. seine bohrend-flache hand färbt dann weiter die pigmente ihrer haut, blaue flecken und ihr lachen füllen dann den saal voller dinge und ihm. nein, schreit sie in sich selbst hinein, fällt auf die knie und blickt in einen himmel, der nicht existiert. im fallen sehnt sie sich
gleich, sammelt auf dem boden gekrümmt ihre schuppen, um sich wieder ganz zu nähen, als die schuppen dann in ihren händen zerfallen, fällt sie wieder in die arme, die sie häuten, stürzt sie wieder in die ecke, die sie auseinandernimmt, sie ganz behutsam, schicht für schicht zerreißt. das nein aber, es rennt jetzt, drängt vor, will eindringen, penetrieren, kaputt machen. ihre stimme suchend im alles der ecke findet sie nichts, kriecht ein stück aus seinem dunklen licht und sagt tonlos so
ihr erstes
nein.

99 namen meiner geschwister

Souat Eslek

2003

wir waren alle reinlich gekleidet. josi und mara mit dem langen rock, jessi, die mich schon als kind im korb gehalten hatte, als die strömung mich wegtrug, wie bei miriam und moses, nur dass ich ein mädchen bin, und die zehn plagen ich auf das herz meines vaters legte, bevor ich das trockene ufer betrat. 

es war winter, aber die häuser sahen sehr warm aus. wenn wir zu ihnen zurückkehrten, würden wir unsere häupter gegen die unserer männer und brüder tauschen, unserer ältesten, wir würden schweigen und das essen machen, und nicht weinen, wenn sie uns die teller zurück ins gesicht werfen würden, wenn sie unsere kinder wegnehmen würden, im gebet, wenn alle die augen geschlossen halten und es keine zeugen gibt, wir würden nicht an ihnen zweifeln. wir würden sagen: in jesu namen. und so sei es. und würden unser leichtes joch aufnehmen und uns von den männern pflügen lassen, so wie es sittlich ist. 

und ich nannte mich jael, und ich gab meinen feinden milch zu trinken in meinem zelt, und ich schlug sie mit dem zeltpflock, so wie debora es prophezeihte. 

und ich nannte mich ozan und jetzt singe ich darüber.

und ich gab mein haar den dschinn, für sie darin zu hausen wie sie wollten, wirr und sicher würde es sein, und mein blick auge in auge mit gott. 

und er nannte mich glück und ich nannte mich ein ewiges bekommen und meine füße sind blutgesalbt wie frauenfüße und mein geist losgelöst wie einer zwischen leben und tod.

und gott hat uns glück genannt und die erde hat uns sanft genannt und ich nenne uns vogel huma auf einem ast, sich endlich ausruhend, schlafend, träumend. 

L= { }    // Leere Mengen

Yasin Gül

2005

tee tee 
terrapie
Erde 
Kuchen 
Pustekuchen 
lieg im bett 
schon seit Stunden
Erde Sterne Sonne  weitergekommen 
laute Wörter, laute Reflexionen, 
komme nicht mit mit dem beugen
-werde nur gebrochen 
gebrochene lichtwellen 
verursacht von gebrochenen Lichtquellen.
Altocumulus lenticularis und der Monsun,
Alles morgen.
Doch was ist morgen,
wenn heute = { } (gleich nichts/leere), 
und morgen: heute = morgen ?
liege hier schon seit Stunden  
so viel zu tun 
tun 
tun 

tu! 
Wozu? 
Schöne Sterne,
schnelle Erde,
Keine Sonne 
Gestern, heute und morgen. 

lieg im bett 
schon seit Stunden
mich selbst noch nicht gefunden
zu viele Wunden
an mich gebunden 
noch nie so wenig empfunden
Seele verschwunden
schon seit Jahren, Wochen und Stunden. 

lieg im bett
schon seit Sekundenstunden.
Körper und Seele nicht verbunden.
Lichtwellenreflexion an der Wand,
zeigt 
parallel zur x2 x3- Ebene 
optimalen Körper.
Keine Wunden.
Arme, Beine, alle an (schönen, gesunden) Mann verbunden.
Alles von mir erfunden?
mich widerwärtig empfunden.

Der grausige Regisseur

Klara König

2008

Wer ist Regisseur dieses üblen Stücks,
In dem sich Kleider zu eng um Leiber winden?
Und wer sich nicht fügt wird hinterrücks,
Opfer von Gesellschaft’s schinden.

Wer hat den Mädchen die Freiheit gestohlen?
Und sie in einen glitzernden Käfig gesperrt?
„Schön muss sie sein und auf sanften Sohlen,
Spannend damit man sich um sie schert!“

In ihrem beschissenen Schloss
Muss sie geduldig sein und verweilen.
Bis schließlich ein Herr auf hohem Ross
Sie befreit mit der Illusion, er könne sie heilen.

Doch zu heilen vermag er nur, was Heilung bedarf.
Gläsern sind die Gitter, die auch ihn verderben.
Denn schuldig ist kein schwarzes Schaaf,
Sondern die Hände, die das Schaaf färbten!

Wer führt die Fäden, lässt uns tanzen,
In den grausigen Kleidern und Krawatten?
Wer lenkt uns Marionetten in falschen Romanzen?
Formt uns wie selbst Götter es nie vorhatten?

Wen können wir mit Schuld befeuern?
Der grausige Regisseur ist bloß Teil der Fassaden,
Wir sind Marionetten die ihre Fäden eigen steuern!
Ein Stück, in dem sich die Akteure selbst schaden.

Drum stecht das Bühnenbild entzwei,
Und zerstört diese seelische Prügelei!

tja ups

 

Jana Tvorogova

2004

Die Römer waren sehr fortschrittlich

120 Hektar Villa
Hadrian
Kaiser und Architekt baut sich sein eigenes Heim
irgendwann 135 nach Christus
wie eine ganze große Kleinstadt groß, mit drei Theatern, zwei Bibliotheken, einem Philosophensaal,
sechs Bädern, Gärten und mit einer unterirdischen Autobahn mit Garage
er lebt nur drei Jahre in seinem bescheidenen Heim
und stirbt
was für ein Pech

Kaiser Nero
nur 50 Hektar groß
Dafür mit einem sich drehenden runden Esssaal
centaio rotuna
nichts Besonderes
muss von Sklaven gedreht werden

Von sich selbst einen göttlichen Kult erschaffen
Kaiser Commodus
Stellt sich dar als Herkules 190 nach Christus
Aber ist nicht sehr beliebt
und wird getötet
damnatio memoriae
was für ein Esel

Es gibt einen Saal mit Mosaik geschmückt
Der Saal heißt „Saal der jungen Mädchen im Bikini“
denn das ist, was er darstellt
so ist das

Schreibe, um zu träumen.