Unsere Gewinner*innen im Februar 2024

Wettbewerb im Februar 2024

Herzlichen Glückwunsch! Wir gratulieren Mylinn Goodwin, Annelie Hettenbach, Charlotte Jelinek, Tonda Montasser, Sophia Nichol und Mona Ilena Schlegel zu ihrem Monatsgewinn im Monat Februar 2024!
Viel Spaß beim Lesen ihrer Gedichte

Ich habe gefunden vor unserer Tür

Mylinn Goodwin

2013

Ich habe gefunden vor unserer Tür
im Februar:

Ein Weißes Berufkraut
Eine Pflanze
der Familie der Korbblütler
ohne Blüte

noch 10 Schritte
noch 9
noch 8

Einen Siebenpunkt-Marienkäfer
Ein Käfer
der Familie der Marienkäfer
an einer Mauer

noch 7
noch 6
noch 5

Ein Weißer Mauerpfeffer
Eine Pflanze
der Familie der Dickblattgewächse
im Sonnenschein

noch 4
noch 3
noch 2

Ein Windengeistchen
Ein Schmetterling
der Familie der Federgeistchen
mit Flügeln in Überwinterungsstellung

noch 1
0
angekommen bei unserer Tür

Goldene Stunden

Annelie Hettenbach

2010

Wenn die Tage kürzer werden
Macht die Sonne Stein zu Gold
Und der Wind treibt Wolkenherden
Bis die Tage ruhiger werden
Wenn der Winter sie verfolgt.

Doch bevor der erste Schnee fällt
Wird das kleine Dorf zur Stadt.
Zu Gast ist hier die ganze Welt.
Musik die Stadt gefangen hält
Macht Alltagsgräue matt.

Regen der Klänge, Musik wie ein Sturm
Wäscht die Luft von der Stille rein.
Blumen schlagen Wurzeln auf Stein
Klänge erbauen aus Farben den Turm
Die Welle lässt Träume gedeihen. 

Wenn die Töne dann verklingen
Kündigt sich der Winter an 
Und die Folgejahre bringen
Stolz und Glück und Herzenssingen
Wieder, und den großen Bann. 

Zehnminütige Geheimnislüftung

Charlotte Jelinek

2011

Hundertmal gesehen, sieht man nicht zweimal hin.
Beschränkt sich der Spaziergang auf vier Wände. 
Die Wohnung, ein ziemlich begrenztes Gelände.
Ein kleiner Gang zur Couch, liegen, liegen, liegen und in Gedanken viel, viel weiter fliegen.
Während ich nicht genau gucke, und die Geschichte des alten Schlosses höre, der Schlüssel liegt irgendwo anders. 
Und alte Staubtücher Geräusche machen, niemand anders kann das.
Die kaputte Lampe ohne Schirm liegt auf dem Schrank, wo niemand sie lange mehr sah.
Kaputte Leiter immer noch recht sonderbar.
Zeichnungen an der Wand, zu abstrakt um real zu sein.
Für die zufällig entstandene Nagel-Wand-Kunst interessiert sich auch kein Schwein.
Klebstoff-Teile am Boden fest, machen einen lockeren Schein.
Auch Kerben im Boden könnten interessanter nicht sein.
Auch an einem selben Ort kann man noch viel finden.
Auch wenn die gut gehüteten Geheimnisse so langsam schwinden?
Nicht wahr?
Die machen sich rar.
Solang ich hier noch festsitze, warte ich darauf, dass du bemerkst, dass ich dreimal hintereinander auch geschrieben habe.
Sieh es als eine kleine Lehre, versteckt hinter der Frage.

Schulweg (gold edition zum Bahnstreik am 29.02.2024)

Tonda Montasser

2011

I

Dann mal los!
Satans-Dönerladen,

Wo Obdachlose nachts
Die letzten goldenen

Pommes kriegen.
Der Asia-Blumenladen

Mit seinen besten motten-
zerfressenen Orchideen.

Das Eckhaus mit seiner
blutroten, zersplitterten

Sparkasse,
wo ich mit 50 Cent

Türsteher bezahle,
für ihre Nächstenliebe.

 

II

7:20 Uhr, die Ampel
stellt sich tot.

Noch eine goldene Mate
am Kiosk meines Vertrauens.

Vorm 0 % Homemade
Burger-Stopp-Pizza

Verpasse ich die M10,
eine von bunten Slogans

verseuchte Party-Tram.
„Muss wohl die S-Bahn nehmen“,

Jammer ich, stigmatisier
Vom öffentlichen Nichtnahverkehr.

III

Zur Bahn an schäbigen
Luftballon-Läden vorbei.

Mit falschen Versprechen gefüllt –
Buddhas große Antiquitätshölle.

Das käsig verschnitzelte Wirtshaus.
Dann zum Kommunisten-Park.

 

Erinnert uns täglich. Kämpfen sollen wir –
Gegen Nazis. Alle zusammen.

IV 

Die betonblaue Brücke
an der Greifswalder Straße.

Hier kommen Obdachlose her,
Um sich wiederzubeleben.

Da die Lost-Place-Videothek,
die zentral neben dem braunen Aldi steht.

Der zentral neben der Bibliothek steht,
von der ich meine Videos beziehe.  

V

Im S-Bahnhof: Leerstand,
Violinen-Meister, Zeitungsverkäufer.

Ein zerbombter Geldautomat.
Ein goldgrüner McDonalds.

Die S-Bahn kommt
Immer erst in fünf Minuten.

Davor der Himmel –
Einfach nur grau, aber

Manchmal zinnoberrot
Und golden.

VI

Ich danke dir, BVG,
Für deine Streiks.

Ich danke dir, Buddha,
Der du dich zu den Obdachlosen legst.

Ich danke den geplatzten Luftballons
Voller Orchideen.

Den Seitan-Dönern und den Pommes.
Den Denkmälern und den Parks.

Den zersplitterten Sparkassen
Den Nacht wie Tag

Mit Menschen versorgten Läden.
Ich danke meinen goldenen Wegen.

Wie immer – in dieser Straße

Sophia Nichol

2011

Der Gullideckel
Total verrostet
Ein Kaugummi
Dann ein paar Stiefel
Eine Frau mitt‘ sechzig
Rosa Regenschirm
Sie lächelt mich an
Ein paar Falten entstehen
Wie meine Oma
Die Nachbarin
Wie immer
In dieser Straße 
Weiter
Ein Gedenkstein
Kaum mehr zu lesen
Etwas in meinen Haaren
Dornenbusch
Achtung Pfosten
Bushaltestelle
Das große H
Mit Stickern beklebt
Wie immer
In dieser Straße 
Ein paar Sneaker
Teenagerin unter
Einer Kapuze verborgen
Heißt Florentina
Eine Stufe über mir
Beste Freundin Claras
Die auch meine Freundin
War
Wie immer
In dieser Straße
Abzweigung
Das Straßenschild
Meiner Straße
Ich biege ab
Steil runter
Die Sonne blendet mich
Zwischen den Wolken
Bellen
Der Nachbarshund Ella
Und ihr Besitzer
Düsen an mir vorbei
Wie immer
In dieser Straße 
Die Wendeplatte
Das Verbotsschild
Welches niemand beachtet
Drei Einfahrten
Noch ein Bellen
Der Nachbarshund Coffee
Ich mag ihn nicht
Er mich auch nicht 
Wie immer
In dieser Straße

Überlebt

Mona Ilena Schlegel

2010

Die Hände kalt gefroren,
die Handschuhe bewusst im Warmen zurückgelassen.
Die Hände, verschmolzen mit der Blüte dazwischen.
Dornen darin, aus splitternder Luft und Holz.

Schuhe stehen enggedrängt,
noch enger ihre Besitzer,
dicke Stiefel, lange Mäntel.
Es ist kalt geworden über Nacht.
Etwas hält meinen Blick,
dort auf dem Boden.
Ein Tag nach gestern.   

Ort
Gepflastert ist der Platz,
grünes Gras rechts daneben.
Eine Kirche, links.
Zeit
Die Sonne kündet Frühe.
Viertel vor 12 Uhr Mittag.
Das Jahr versucht jung zu sein, der Winter das Gegenteil.

  • Januar 2024

Grund

  • Erinnern für die Zukunft

Und dort vorne, zwischen denen, die schon gesprochen haben oder es noch tun werden, zwischen all denen, in deren Händen es weiß schimmert, leuchtet etwas.

Die Menschen haben die Treppen zu Teilen des Platzes gemacht.
Doch keiner tritt ins Gras, beschattet von der dunklen Stehle.
Atemdampf als Gebärdensprache der Redner.

Ich wünschte mir diese Rose zu tragen,
wollte nicht selbstsüchtig sein,
hatte doch kein Recht, darum zu bitten.
Und doch halte ich eine weiße Rose in den Händen,
und lege sie ab für einen Namen.
Dann lenke ich meine Gedanken auf heute,
darauf, was geschehen kann, geschehen ist.
Dornen durchdringen meine dünnsten Wände, die Haut.
Die Weiße Rose.
Und sie zeigte treuherzig ihre vier Dornen.
Zwischen all jenen, die bereits etwas vorgelesen haben,
zwischen all den Schuhen liegt sie verloren,
ein wenig ramponiert auf Kopfsteinpflaster, ohne Stiel,
aber weit geöffnet, und strahlend.
Die andere weiße Rose.
So schön, wie eine verirrte Schneeflocke, und verletzlich.
Ich werde sie retten.
Nach der Gedenkfeier gehe ich zu ihr,
knie ich mich hin,
und hebe die verletzte Rose behutsam auf,
ganz weich liegt sie in meiner Hand,
und ja, sie ist die Schönste von all denen, die ich heute gesehen habe.
Heute ist der 27. Januar.

Schreibe, um zu träumen.