when I speak
„auch mit Wörtern du kennst sie nicht / you still understand the poem“: Auch wenn wir nicht dieselbe Sprache sprechen, können wir verstehen, was gesagt – oder in diesem Falle gedichtet wird. Im Oktober heißt unser Thema „when I speak“ und wird inspiriert von dem Text „wenn ich deutsch rede, / dann bemerkt man meinen deutschen Akzent gar nicht so sehr“ von Dalibor Marković. Schickt uns eure Texte in eurer Sprache! Oder sind es mehrere? Passend zum Thema Sprachenvielfalt gibt euch die Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde einen Einblick in ihre aktuelle Sonderausstellung „Nach der Flucht. Wie wir leben wollen“. Dort sind zehn deutsche Pässe zu sehen. Die Passinhaber*innen erzählen, was ihnen ihr Pass bedeutet, wo und warum sie sich zugehörig oder ausgeschlossen fühlen und wie andere sie wahrnehmen – mit ihrer eigenen Stimme und in mehreren Sprachen.
wenn ich deutsch rede, dann bemerkt man meinen deutschen Akzent gar nicht so sehr
when I speak
wenn ich spreche
is it weak?
ist es Schwäche?
not to mention all the things
auszublenden all die Dinge
that keep forcing me to think
die mir Gedanken auferzwingen
that a language protects all her babies
dass eine Sprache ihre Kinder schützt
and therefore translating poems is crazy?
also sind Lyrikübersetzungen verrückt?
when you read em
ako čitam
wenn es raus muss
with a rhythm
imam ritam
mit nem Rhythmus
with some help of a rhyme
ako rim mi pomaže
mit der Hilfe von Reimen
there’s a big chance to shine
onda može da se kaže
ist es möglich zu zeigen
even if the words you don’t know‘em
čak sa riječima nisu ti jasne
auch mit Wörtern du kennst sie nicht
you still understand the poem
ipak razumiješ pjesme
verstehst du dieses Gedicht
je suis hereux because now
você está em meu coração
eines Tages sind wir kao baka i dida
juntos hasta el final de la vida
When I speak, wenn ich spreche, werde ich dann verstanden? Und was bedeutet es überhaupt, verstanden zu werden? Dass mein Gegenüber dieselbe Sprache spricht? Dass sie oder er versteht, was ich meine?
Wäre es eigentlich „hilfreich“, wenn wir alle nur eine Sprache sprechen würden? Oder ist die Vielfalt gut und Mehrsprachigkeit ein Gewinn? Dazu gibt es ganz unterschiedliche Meinungen. Fakt ist: Gerade in Europa sprechen wir auf wenig Fläche eine Vielzahl an verschiedenen Sprachen. Menschen mit zig Sprachhintergründen sind in Deutschland zu Hause. Ein Land, eine Sprache: So ist es nirgendwo.
Unbestritten ist, dass Sprache und Identität zusammenhängen. Wir drücken unsere Gefühle sprachlich aus, fühlen uns durch eine Sprache einer Gruppe zugehörig, das Sprechen einer bestimmten Sprache beeinflusst unser Denken. Besonders spannend wird es bei Menschen, die mehrsprachig sind. In welcher Sprache denken sie, träumen sie, schreiben sie und was macht das mit ihrer Wahrnehmung? Wissenschaftler nehmen an, dass wir die Welt anders sehen, je nachdem in welcher Sprache wir uns bewegen. Sind wir flexibler, denken wir differenzierter, wenn wir mehrsprachig sind?
Schickt uns im Oktober eure Texte rund um das Thema Mehrsprachigkeit! Was passiert, „when I speak“? Schreibt Gedichte in mehreren Sprachen, schreibt Gedichte in eurer Sprache, schreibt Gedichte in einer Sprache, die ihr nicht versteht. Übersetzt, vermittelt, sprecht durch eure Gedichte! Wir freuen uns!
Dalibor Marković (*1975)
Poet. Geboren in Frankfurt am Main. Kroatische Wurzeln. Mit Musik begonnen, daher auch Beatboxer. Seit knapp fünfzehn Jahren auf deutschen Bühnen unterwegs. Mitunter sogar im Ausland. Drei Bücher und einen USB-Stick veröffentlicht. Deutschsprachiger Meister im Poetry Slam im Jahre 2014.
Mitglied zweier Poetenensembles. Mit Dominique Macri als „Team Scheller“, sowie mit Bas Böttcher und Nora Gomringer als „Boombastic Lyrikwunderland“.
Lebt in Frankfurt am Main.



Reisepässe
In der aktuellen Sonderausstellung „Nach der Flucht. Wie wir leben wollen“ der Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde sind zehn deutsche Pässe zu sehen. Wer im Besitz eines deutschen Passes ist, genießt als Staatsbürger*in volle Bürgerrechte wie das Wahlrecht, das Recht auf Freizügigkeit, freie Berufswahl und den Schutz durch den Staat im Ausland. Die einen sind als Kind deutscher Eltern per Geburt deutsch, andere werden es im Laufe ihres Lebens durch Einbürgerung. Doch ein Pass allein bestimmt nicht das Zugehörigkeitsgefühl eines Menschen. Die zehn Passinhaber*innen erzählen, was ihnen ihr Pass bedeutet, wo und warum sie sich zugehörig oder ausgeschlossen fühlen und wie andere sie wahrnehmen. Die „Passgeschichten“ werfen – wie die Ausstellung insgesamt – viele Fragen auf: Wer ist wir? Wer sind ‚die‘ Flüchtlinge? Wer darf und will Deutschland politisch mitgestalten, und wie stelle ich mir ein gelungenes gesellschaftliches Zusammenleben vor? Jede*r der Passinhaber*innen hat andere Erfahrungen und Erlebnisse, eine eigene Stimme und zum Teil mehrere Sprachen – so wie die Ausstellungsbesucher*innen und auch ihr.
Die Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde
Stiftung Berliner Mauer
Die Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde ist das zentrale Museum in Deutschland zum Thema Flucht und Ausreise aus der DDR.
Rund vier Millionen Menschen verließen zwischen 1949 und 1990 die DDR in Richtung Bundesrepublik; 1,35 Millionen von ihnen passierten das 1953 gegründete Notaufnahmelager in Berlin-Marienfelde. Hier wurden sie untergebracht, versorgt und hier durchliefen sie auch das notwendige Verfahren, um eine Aufenthaltsgenehmigung für die Bundesrepublik und West-Berlin zu erhalten.
Die Ausstellung ist im ehemaligen Haupthaus des Notaufnahmelagers eingerichtet, wo sich früher Warteräume sowie Büros der aufnehmenden Dienststellen befanden. Auf rund 450 Quadratmetern und mit über 900 Exponaten – ergänzt durch zahlreiche Zeitzeugenberichte – erzählt sie anschaulich von Fluchtmotiven, Fluchtwegen sowie von Chancen und Problemen beim Neubeginn in der Bundesrepublik. Daneben ist die Geschichte des Aufnahmelagers dargestellt: vom Ablauf des Aufnahmeverfahrens über den Alltag der Bewohner bis hin zur Observierung durch die DDR-Staatssicherheit. Eine original eingerichtete Flüchtlingswohnung rundet das umfassende und zugleich detaillierte Bild der Flucht im geteilten Deutschland ab.
Das denkmalgeschützte Gebäude-Ensemble steht aber nicht allein für Flucht und Ausreise aus der DDR; vielmehr ist es ein Ort der Migration, an dem sich Vergangenheit und Gegenwart begegnen: Von 1964 bis 2010 wurden hier rund 96.000 (Spät-)Aussiedler*innen aufgenommen, seit Dezember 2010 dient es als Übergangswohnheim für Geflüchtete aus Kriegs- und Krisengebieten weltweit. Derzeit leben 700 Menschen hier, rund die Hälfte ist jünger als 18 Jahre.