Wenn wir die Wälder verlassen
Von Sehnsuchtstannen und Dschungelkomplexen. Wir starten das neue Jahr mit "tierischen Fantasien": Was passiert, „wenn wir die Wälder verlassen“? Haben wir den Bezug zu unseren Ursprüngen vergessen oder zerstören wir ihn sogar mutwillig? In welchem Verhältnis stehen Mensch und Tier? Inspiration gibt es von der Lyrikerin Claudia Gabler und einem Wandrelief aus der Ausstellung „Mammalian Fantasies“ (dt. Säugetier-Fantasien), aktuell zu sehen in der Kunsthalle Basel. Ein frohes 2019 euch allen! Wir freuen uns auf eure Gedichte im neuen Jahr!
Zukunft ist Mangelware, wenn wir die Wälder verlassen
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Zecken kesseln sich ein, verkleben die Zellen
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Sie produzieren Harz. Schützen ihre Empfindung
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Während wir Epilepsien entwickeln
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Heiliges Herumstreunen auf der Suche nach Gras
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Überall Overalls. Maßlose Ohnmachten
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Von Beeren aus China: Bärengetue
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Sehnsuchtstannen und Dschungelkomplexe
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Jumpsuits aus Erdwärme
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Generelle Neubauern und ihre Suche nach Bräuten
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Wir sagten Ja. Buchten Ventilatoren dazu
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Venylien
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Ein Vaterersatz
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Was sonst?
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Was, wenn wir Verwandte wären?
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Was, wenn wir wüssten von den Genen in unseren Brüsten?
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Nichts gegen die Tiere
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Doch auf ihre Stachel ist jetzt nicht mehr Verlass
Dieses Thema handelt von „fantastischen Tieren“ und unserem Verhältnis zu ihnen. Ist die heutige Beziehung zwischen Mensch und Tier noch „fantastisch“ oder haben wir uns längst abgewendet von der Natur und dem, was uns nährt? „Zukunft ist Mangelware, wenn wir die Wälder verlassen“, heißt es in Claudia Gablers themengebenden Gedicht. Was passiert, „wenn wir die Wälder verlassen“? Der Satz weckt Assoziationen rund um die Evolution des Menschen, aber auch der Gedanke vom Vergessen unseres Ursprungs und der Zerstörung unserer Ressourcen steckt darin.
Die Kunsthalle Basel zeigt aktuell eine Ausstellung, die ebendiese Beziehung zwischen Mensch und Tier in den Mittelpunkt stellt: „Mammalian Fantasies“ (dt. Säugetier-Fantasien). Zu sehen sind Holzskulpturen von Daniel Dewar und Grégory Gicquel, die sich auf Körperteile von Menschen und Säugetieren beziehen. Weiter unten findet ihr ein Wandrelief aus der Ausstellung, das euch neben Claudia Gablers Gedicht inspirieren soll. Vier Tiereuter schweben darauf über einem nackten Mann, einer direkt über seinem Gesicht. Eine Anspielung darauf, wer uns nährt?
„Wenn wir die Wälder verlassen“, dann …? Schickt uns im Januar eure Texte rund um das Verhältnis zwischen Mensch und Tier, Fantasie oder Realität. Wir freuen uns auf eure Gedichte!

Claudia Gabler
Geboren 1970 in Lörrach * Studium der Publizistik und Theaterwissenschaft in Berlin * Autorin von Lyrik, Hörspielen und Prosa * diverse Auszeichnungen, u.a. Grimmelshausen-Förderpreis, Arbeitsstipendium Berlin, Landesstipendium Baden-Württemberg, Preisträgerin beim Literaturwettbewerb Wartholz (A), Stipendium des Landes Rheinland-Pfalz für das Künstlerhaus Edenkoben * zuletzt: „Wohlstandshasen" (Gedichte, Edition Voss / Horlemann, Berlin, 2015) und „Wenn ich schon mal im Radio bin“ (Kurzhörspielserie, Deutschlandfunk Kultur, 2018)
Unser Partner im Januar: Die Kunsthalle Basel
Als weitere Inspirationsquelle zum Thema "Wenn wir die Wälder verlassen" hat die Kunsthalle Basel das Wandrelief "Oak Mural With Man, Udders, and Vase" von Daniel Dewar und Grégory Gicquel aus der Ausstellung "Mammalian Fantasies" ausgewählt. Claudia Gabler wird im Januar eine dreitätige Schreibwerkstatt (21.01. - 23.01.2019) mit Schüler*innen der Sekundarschule Theobald Baerwart veranstalten, die in einer performativen Lesung in der Kunsthalle mündet. Die Performance ist Teil des 16. Internationalen Lyrikfestivals Basel.
Performative Lesung "Fantastic Mammals and how to write them"
mit Claudia Gabler
24. Januar 2019, 18.30 Uhr, Kunsthalle Basel
lyrikfestival-basel.ch/programm-2019/

Daniel Dewar & Grégory Gicquel
Mammalian Fantasies
18.1.-14.4.2019
kunsthallebasel.ch/exhibition/27929/
Daniel Dewar (*1976) und Grégory Gicquel (*1975) erschaffen als Künstlerduo aussergewöhnliche bildhauerische Gegenstände, welche traditionelles Kunsthandwerk, figurative Motive und eine wilde surreale Sensibilität in sich vereinen. In ihrer Einzelausstellung Mammalian Fantasies in der Kunsthalle Basel zeigen sie Holzskulpturen, auf denen Körperteile von Menschen und Säugetieren auftauchen, und die das Verhältnis zwischen Mensch und Tier thematisieren.
Die Arbeit Oak Mural With Man, Udders, and Vase von 2017 zeigt auf einem Wandrelief aus Eichenholz zwei abgetrennte Kassetten-Nischen. Im linken, dem grösseren Segment, liegt ein nackter Mann im Profil, passgenau eingefügt in seine Nische – an die Bildtradition des abgenommenen Leichnams Jesus Christus erinnernd. Über ihm hängen vier individuell geformte Tiereuter, wovon eines direkt über seinem Gesicht schwebt. Eines der Zitzenpaare zeigt auf den Mund als könnte es ihn nähren, das andere auf die geöffneten Augen der liegenden Figur. Abgetrennt von Körper und den Zitzen beherbergt das zweite, kleinere Segment ein rundes, Amphoren-artiges Gefäss oder eine Vase. Auch sie ist perfekt eingepasst in ihre Nische und ist möglicherweise das Aufbewahrungsobjekt für den «lebenspendenden Nektar» aus den nährenden Zitzen die über der menschlichen Figur schweben.
Kunsthalle Basel
Die Kunsthalle Basel ist ein Ort an dem zeitgenössische Kunst ausgestellt, diskutiert und reflektiert wird und dies schon seit ihrer Gründung 1872. Als eine der ersten und aktivsten Institutionen in der Region, die internationale und Schweizer Kunst der Gegenwart zeigt, ist die Kunsthalle Basel insbesondere für ihr tiefgreifendes Engagement für aufstrebende Künstlerinnen und Künstler bekannt. Dies mit der Absicht, anregende künstlerische Praktiken und mutige Ausstellungen einer interessierten Öffentlichkeit jeden Alters zu präsentieren. Mit bis zu zehn Ausstellungen pro Jahr, oft mit neuen Produktionen und begleitet von Künstlergesprächen, Performances und Filmvorführungen, ist die Kunsthalle Basel der Treffpunkt für die Betrachtung von, und Debatten über zeitgenössische Kunst.
