Unsere Gewinner*innen im Oktober 2018
Wir gratulieren den sechs Gewinner*innen, die sich im Oktober mit vielen anderen auf die Suche nach ihrer persönlichen Sprache begeben haben. „when I speak“ lautete die themengebende Zeile – und der Soundpoet Dalibor Marković lud über seinen Text „wenn ich deutsch rede, dann bemerkt man meinen deutschen Akzent gar nicht so sehr“ dazu ein, die Grenzen der Sprachen zu umspielen.
Gedankenschar
Ich schweige -
Die tausend Wellen durch mein Hirn
Die Worte, die es gar nicht gibt
Die innerlich nach außen quill'n
Von Laut und Zunge ausgesiebt
Ich rede -
Ein Mobilé aus meinem Mund
Wie Wolken, wenn sie rodeln geh'n
Die Worte steppen auf dem Grund
Und nein, ich bin nicht zu versteh'n
Ich falle -
Nur grob und äußerst detailliert
Von selbst erfasst und nichts ist wahr
Die Zunge wolkig ausradiert
Für wortlose Gedankenschar
Cogito ergo zum
Verlieren bin ich nicht gekommen,
weißt du, meine Hände
sind noch weich,
diese Sprache ist so einsam,
dass du sie nicht mal niemals
verstehen könntest
Ich behaupte, frech wie Salz,
dass Ulysses meinen Mund bestäubt
und nicht
die Paranoia in der Suppe
Zwei nervöse Dinos - Rexe - ,
anno dazumal,
verschlangen sich im Staube
einer Wüste, doch der kleine
Prinz ist fort und kleine
Würfel regnet es auch ohne
theatrale Mittel,
ihre Kanten schneidend Glas wie
trocken Herbstluft auf verwöhnten
grauen Lippen
Wozu haben wir
Gedärme, wenn nicht
um sie notfalls zu verspeisen
Tanzen! Sterben!
Und der Zirkus zieht vonmarsch,
lachend Spuren
auf den Tanzgesichtern
Ach, der Kinderstaub birgt
Rätsel ohne Ende, doch
die alte Wahrheit ist so nah,
schwebt vor, verschwindet
hinter Schloss und Riegel,
nein, nach Osten;
durch den Tannenwald,
den Nebel,
stolpern Unterirdische
Gepackt!
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HALT! GRENZE! ein lustiges flüchtlingsgedicht in elf strophen.
I.
pass auf! die worte fließen aus dem mund
die grenze ist nicht nur im kopf.
el pasaporte, por favor
i better hide my secret thoughts!
II.
dort hinten steht ein grauer mann
was der nicht alles sehen kann.
la chance sourit aux audacieux
don’t move too fast, don’t move too slow!
III.
noch hundert meter bis zum zaun
die hundezungen hecheln braun.
dal frutto si conosce l'albero
phew! that was close you filthy scum!
IV.
schutzstreifen - sperrzone - lebensgefahr
buchstabenkrieg ohne notar.
het leven is geen zoete krentenbol
i should have known, should not have gone!
V.
jetzt hat er ihn geseh‘n, der hund
und eilig speichelt er den kropf.
bo ostatnich gryzą psy
but i am faster, you will see!
VI.
die kalte kugel trifft mit wucht
sie kann und darf nicht stoppen seine flucht.
RATATATA! RATATATA!
nice try - you missed me, imbecile!
VII.
bemærk! jetzt hat er's gleich geschafft
mit allerletzter willenskraft
o bella ciao, bella ciao, bella ciao ciao ciao
my quest for liberty and love: i’ll never give it up!
VIII.
doch plötzlich wird die nacht so rot
wie’s röslein auf der heide.
die blanken stiefel frisch gewichst
ÁLLAMHATÁR! bis hierher und nicht weiter!
IX.
der schweiß tropft rasend von der stirn
urin läuft in die schuhe
la vie en rose it’s over now
kein lächeln, keine freiheit!
X.
POZOR! spricht da der graue mann:
no matter what you’re thinking
the bastard got what he deserves
glaubt ihr, der kann uns linken?
XI.
c'est drôle! how funny, dieses fremdgesicht
refugees welcome? sicher nicht!
wir lassen ihn hier liegen
solln fressen ihn die fliegen.
kaffeklatsching
die worte krachen
comme le caramel d’une crème brûlée
3 gäste sitzen around the table
neben filterkaffee
sowie frappé und muckefuck to go – prêts à parler
schon zu beginn sind die namensschilder
in hohem bogen vom tisch fly flew flown
jeder darf sich durch seinen wortschatz wühlen
denn an der étagère soll sich nobody
wie camus‘ l‘étranger fühlen
either windbeutel, éclair or doughnut
tout le monde hat etwas mitgebracht
verschiedene flavors je nach dialekt
der lingua per etymologischem geheimrezept
wird à la manière d‘einstein die tongue rausgestreckt
auf eben dieser zunge
lassen sie sich ihre pastries zergehen
simultaneously filling their lungs
avec un pot-pourri
die kuckucksuhr is ringing pünktlich zum high tea
peu à peu
probieren sie die mitbringsel der anderen
beginning to adapt und essaient de schubladiser
schnell verwandelt sich der salon
in ein all-you-can-speak kuchenbuffet
denn finalement ist auch die lingua franca
weitaus mehr als nur ein konvolut an vokabular;
zwar sind die wörter umherjettend
ab einer gewissen flughöhe vorrangig wahrnehmbar
aber schwingend bleiben es doch die worte unter dem radar.
sprachkollision
der kaffee ist kalt
geworden
und in deinen augen schwimmt
meine gerunzelte stirn
deine lippen halten nicht still
wenn du sie öffnest
kann ich die worte an deiner
zungenspitze hängen sehen
mein blick klammert sich daran
stiehlt sie dir
von den lippen
bevor du sie jemand anderem schenkst
aber was du sagst
ist zweidimensional ist grau
ohne stimme
bloß unkolorierte skizze
doch in meinem gehörgang herrscht stille
ohrmuscheln sind netze
die silben
aus der Luft fischen
während sie überquillen
schwebt mein kopf
in tonloser schwärze
weil die verbindungen zu meinem gehirn
gekappt sind
meine hände zucken
wollen sprechen schreiben für mich
doch dann wüsstest du bescheid
wir sind schiffe
- sprache unser kurs -
die sich im dunkeln umkreisen
und allein zerschellen
an riffen aus scham
// ziellos // heimatlos//
denn ob sprache
noch heimat bedeutet
weiß ich nicht mehr
du hältst inne
die brücke
zwischen uns ein lächeln
vielleicht sollten wir es lassen
phantomen nachzujagen
nach wörtern und gebärden zu graben
und stattdessen zu spüren
wie die luft vibriert
und um und in mir
die stille eins wird.
Mit Migranten umgehen
Chinesischer Blauglockenbaum
Chang wo besinge mich
hier im backyard, yards weg vom Rückfall
in den Hass hinein, ahora jugo JUGAAD en el jardin
Mit Papphammer und Plastiknadel
bauen wir uns eine neue Welt
neue Worte, Gedanken, eine neue Sprache
die uns alle verbindet
in unseren mehrsprachigen Herzen
when we speak
Ich spüre es, die Glocke des
chinesischen Blauglockenbaums schellt
und lädt zum Besteigen ein, jeder Busch
eine Station in den ruhigen Seewasserhimmel
mit seinen netten Großvateraugenbrauen
infinity is the limit
Luftigleichte liberté
durch unsere einheitliche, mehrsprachige Sprache
des Strebens nach Liebe
Ich schiebe
die Äste des Baumes noch ein bisschen
weiter nach oben, no franca language, no wall
when we speak
Die veilchenblauen Glocken
schwingen unermüdlich im spielenden
Neuanfangswind it's flourishly flowing
into my fingers, almost bursting
Jeder mit seiner
eigenen Heckenschere unterwegs, Eintönigkeit
entschwindet
in dieser neuen
Antikenskulptur, una revolucción que
viene de pena
Spielen wir doch alle unseren part
in einer Symphonie die
für die next generations recorded wird,
hollywood potential
Von hier oben fiesta de espuma, extra viel
Lachschaum
hecho de las acid drops of our haters
Verbinden uns nicht alle
die Sprache der Ideen für eine neue Welt?
Ist Nächstenliebe
nach der Evolution nicht ad nauseam unsere
MUTTERSPRACHE?
when we speak
Chinesischer Blauglockenbaum
Chang wo besinge mich
und let white pigeons
- a sweet pie gen uns-
unsere Hände streicheln
Marie Krieger, Katinka Kultscher, Cosima Paul, Tom Niklas Pohlmann, Angelina Schülke und Sarah Stemper überzeugten die Jury mit ihren Texten, deren Titel bereits den weiten Horizont von Sprache und Individuen eröffnen: Gedankenschar - Cogito ergo zum - HALT! GRENZE! ein lustiges flüchtlingsgedicht in elf strophen - kaffeklatsching - sprachkollision - Mit Migranten umgehen.
Wer will da nicht weiterlesen, „die Worte, die es gar nicht gibt“? Wer will nichts wissen von den „tausend Wellen durch mein Hirn“ oder der „Paranoia in der Suppe“? Lest immer weiter von „Seewasserhimmel“ und „Neuanfangswind“, von „mehrsprachigen Herzen“ und „einer gewissen flughöhe vorrangig wahrnehmbar“. Hört nicht auf: „jeder darf sich durch seinen wortschatz wühlen“!
Viel Vergnügen bei immer neuen Sprach-Entdeckungen!