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lyrix - Bundeswettbewerb für junge Lyrik logo

Monatsthemen und Gewinner*innen

15-20 Jahre

Unsere Gewinner*innen im Juli 2018

Wettbewerb im Juli 2018

Wir gratulieren unseren sechs Gewinner*innen zum Juli-Thema „die verdrehen was ich bin“ herzlich! Özlem Özgül Dündar, ihr "wo es mich bricht" und die zwei Skulpturen "Discussion" und "Mixed Feelings" des britischen Bildhauers Tony Cragg, die im Skulpturenpark Waldfrieden in Wuppertal zu finden sind, inspirierten euch zu eigenen Gedichten.

Die Bienen summen schon

Rosa di Nardo
2001

Es kommt in Wellen
und du weißt es bringt nichts
dass du du bist
und du denkst es wird nichts

In der Ecke
im Hinterhof
schlägt jemand mit den Fäusten der Liebe
deinen Kopf kaputt
deine Mauern zurück
es ist gut

Tief hinten schlummerst du
umgeben von Masken und Lügen
eingesperrt, ganz gewöhnlich
so soll es sein
aber es stimmt nicht

Es wird erst gut, wenn du wagst, zurückzukehren
mit Blumen und Sonne und
einem Lächeln im Gesicht
wenn du du bist
und der Frühling beginnt

ein abc des andersseins oder was ihr nicht sagen solltet

Lukas Friedland
1999

aspergers alternative abendbeschäftigung: antidepressiva aufsaugen
beunglückung bestärkt betriebsamkeit
clownesker chloroformgetränkter cayennepfeffer
damals dachte dackel dyskalkuliert
ebenenmangel erschwert existenz
faktisch fakebeziehungen
    SIE SIND AUTIST? DAS KANN NICHT SEIN.
gott gurrt grotesken gay-hate
heule halt holunderbüsche
    ICH DACHTE, AUTIST*INNEN SEIEN GEISTIG BEHINDERT?
irgendwas ist immer
jetzt jauchzen jagende jahrzehnte
kommunikationsproblematiken kennen keine komapause
    UND WAS IST IHRE INSELBEGABUNG?
labile leere lachender löcher
manchmal motiviert momentane magie

    WARUM REISSEN SIE SICH NICHT EINFACH ZUSAMMEN? AM THEATER HABEN DOCH ALL
    E PROBLEME. MIR WIRD AUCH MANCHMAL ALLES ZU VIEL.
nonsens nutzen
ocpd offenkundig onomatopoetisch
perversion pornografischer parshipprofile
    DANN SIND SIE DOCH EIN INFORMATIK-GENIE? SIE KÖNNTEN MIR NOCHMAL ZEIGEN,
    WIE ICH EINEN TERMIN BEI OUTLOOK EINTRAGE.
quecksilber quillt quicklebendig
    ACH, SIE HABEN NUR ASPERGER? SIE SIND ALSO GAR KEIN RICHTIGER AUTIST.
ruhe rauscht rosig
    DANN HABEN SIE ALSO KEINEN HUMOR?
suizidalität schlüpft samt spontaner soziophober stunden
    SIE KÖNNEN KEIN AUTIST SEIN, SIE HABEN JA GEFÜHLE!
tja torte
    AUTISMUS IST DOCH EH NUR SO EINE MODEDIAGNOSE.
unglück unkt untergehende u-boote
    WIE VIELE ZAHNSTOCHER LIEGEN HIER AUF DEM TISCH?
vielleicht vergeht vergangenheit
    AUS GESUNDHEITLICHEN GRÜNDEN MÜSSEN WIR SIE LEIDER ENTLASSEN.
wann war winter wunderbar
    SO WAS GAB ES EINFACH NOCH NIE AM THEATER.
xerografierte xerodermie xenophober xerokratie
    SIE BRÄUCHTEN SONDERBETREUUNG, DAS KÖNNEN WIR UNS NICHT LEISTEN.
youngster-ytterbiums yay-yamashita
    HABEN SIE EINFACH IRGENDWO KREUZE GESETZT ODER WIE KAMEN SIE AUF DIE IDE
    E, AUSGERECHNET ANS THEATER ZU WOLLEN?
zerfall zersetzt zeitzonen – zermürbte zahnsplitter ziehen zum zuggleis

es werde licht!

Melis Ntente
1999

hautdünne seiten drehe
wort gottes zwischen meinen fingerkuppen
fegefeuer ist wenn Er mein haar in flammen setzt
um meine kopfwunden liebevoll mit stofftuch zu versorgen
wenn meine libido ein tabu ist
ich freitagabend nicht arbeiten darf
kein schwein, man verzichtet gerne, kein cheeseburger
nehme kein blatt vor dem mund doch 
gott stopft seine worte hinein
die arabischen schnörkel tanzen wie
schlangen und sprechen von paradies
wie viel von mir ist mir und wie viel ist gott
es werde licht! ich schalte den
anschaltknopf

hokuspokus

Tom Niklas Pohlmann
1999

am anfang war das wort
grau und einseitig
stand es auf dem staubigen tresen
wie ein pendler an der flugzeugbar
aufgelöst unter eiswürfelförmigen tränen

gezinkt
studierten seine lippen
die lautschrift der tafeln
als eine art pantomime
die kanten längst geschmolzen

vor ihm ein blubbernder longdrink
- ohne strohhalm
denn diese art von zauberstäben war seit neuestem verboten
so hastete er um sich
und geriet in das blickfeld des einarmigen banditen

beim kniffel unbesiegbar
fühlte er wie seine pupillen
in den bann des rotierenden kreisels gelangten
niemand hätte ihn schlagen können
so ließ er seine knöchel schnipsen

Explosiv traf der zauberwürfel
auf den versifften tisch der spelunke
ohne dass der blinde passagier es bemerkt hatte
war ihm anscheinend in sein deck gegriffen worden
das bunte mosaik
unwiederbringlich verdreht
eine klebrige mixtur aus verschmierten bierflecken
und dem zersplitterten würfel starrte ihm entgegen
man hätte es beinahe für konfetti halten können
nur anstelle von kostümierter freude

bemerkte er seine eigene maskerade, stieß den trolley vom hocker
und rannte hinaus aufs rollfeld;
in seiner rechten die überbleibsel des würfels
und der diabolischen  hoffnung, von einem abfangjäger erlöst zu werden
// all in

traumlos

Leonie Schwenda
1999

die unschuld dreht sich kichernd auf hohen absätzen der nacht zu sie, die an träume glaubt hört damit auf sobald sich eine hand zwischen ihre beine schiebt sie, die unschuld, blond und zierlich nur ihr Körper interessiert die Welt weil nur die hübschen mädchen träumen dürfen und dass sie nicht will, dass sie nicht nicht möchte reizt die noch mehr denn sie ist kein kind mehr und wenn dann wird das erwachsene stück für stück in sie einghämmert bis sich das kind dahinter nicht mehr erkennen lässt und nur noch ein mosaik am boden ist gebrochen, verdreht und träumend

jenseits der standardabweichung

Anne Magdalena Wejwer
1997

abseits warten wir

hinter abgeschlossenen fenstern

schauen in den wolkenlosen himmel

unsere blicke verlieren sich im nichts

 

skelette schweben über den gang

stumpfe augen leuchten nicht mehr

für die tränen gibt es regenrinnen es bleiben

nur rot die linien auf dem ein oder anderen arm

 

besser arm dran als arm ab sagst du

hast keine ahnung denn das hier ist kein urlaub

die zwangspause von der realität

steht nicht im katalog

 

wir warten auf den morgen und auf den abend

und auf das dazwischen und nehmen medikamente

weil wir nicht so sind wie die welt

uns haben wollte

 

vielleicht würde ich postkarten schreiben

aber ich habe keine freunde und ohnehin

ist die station kein ferienparadies nur die getränke

sind umsonst

 

abseits warten wir

hinter abgeschlossenen fenstern

versuchen menschen in weißen kitteln uns zu helfen

 

nur - wer heilt die welt die uns kaputt gemacht hat?

Bei lyrix ging es im Juli um alles, was sich verdrehen lässt - Kunst, Gefühle, Menschen... Ihr gabt uns ein "abc des andersseins", habt Masken fallen und Mosaike brechen lassen. Hokuspokus, es ward Licht..."die zwangspause von der realität".

Die "unschuld dreht sich kichernd auf hohen absätzen der nacht zu", "vor ihm ein blubbernder longdrink / - ohne strohhalm"..."wir warten auf den morgen und auf den abend / und auf das dazwischen und nehmen medikamente". "Es kommt in Wellen / und du weißt es bringt nichts / dass du du bist". Denn "vielleicht vergeht vergangenheit " - aber "es werde licht! ich schalte den / anschaltknopf".

Vielen Dank für eure Gedichte im Juli und wir gratulieren euch sechs Gewinner*innen sehr herzlich!